Kritik ist ein negativ behaftetes Wort, ähnlich wie Arroganz, wo doch beide Begriffe sowohl was positives und was negatives ausdrücken können. Im Grunde genommen müssten die Begriffe neutral betrachtet werden. Heute geht es mir um die Kritik und vor allem um seine positiven Effekte.
Durch meine jahrelange Arbeit als Manager / Projektmanager ist mir Kritik besonders wichtig. Die meisten werden sich fragen warum? Es ist relativ simpel…Als Projektmanager steht man in den meisten Unternehmen (zumindest bevor es die agile Bewegung gab) an vordester Front. Damit meine ich, dass man im klassischen Sinne das Projekt LEITET und die meisten Personen nehmen Direktiven an und führen diese aus. Eine Art der Arbeit, im Übrigen, welche mir immer widerstrebte.
Hierdurch ist man jedoch automatisch in offiziell, inoffiziell, gefühlt oder bewusst in einer höheren Hirarchiestellung. Durch diese „höhere“ Stellung gibt es im Projekt keine gleichgestellte Person und somit fehlt es an Personen, welche auf „Augenhöhe“ Kritik (positiv / negativ) geben können. Wenn Projektteilnehmer Kritik an den Projektleitern üben, und das passiert ganz oft und massiv, dann passiert das meist im Verborgenen bzw. von den Projektbeteiligten untereinander. Dem „Leiter“ selbst wird dies nicht mitgeteilt, weil man in irgendeiner Weise negative Effekte für einen selbst befürchtet.
Somit wird der Projektleiter meist von anderen „bewertet“. Diese anderen sind meist Personen aus dem Management / Geschäftsführung. Verbunden mit ihrer Rolle haben die einen Fokus auf den Ausgang des Projektes, also kurz gefasst: Projekt verläuft positiv = guter Projektleiter, Projekt verläuft negativ = schlechter Projektleiter.
Ich habe mich innerlich immer gegen die Kritik gewehrt und selbst positive Kritik von oben nicht angenommen bzw. nur den Teil, welche die Personen wirklich beurteilen konnten. Damit konnte ich was anfangen, weil ich wusste, dass diese Kritik berechtigt und fundiert war. Somit fehlte mir ganz oft eine wahre Betrachtung meiner Arbeit, weshalb ich schon ganz früh damit anfing, mir diese selber einzuholen.
Leider spielt bei Kritik auch das Standing der Person eine große Rolle. Wie im Leben, kommt man schnell in eine Schublade. Hat man die ersten Projekte gut abgeschlossen (nach welchen Kriterien auch immer), wird man fast grundsätzlich immer positiv beurteilt. Das sind meine „Schulterklopfer“. Ich werde nie vergessen, wie während eines Projektes diese Schulterklopfer zu einem kamen und andere Vorgehen kopierten, weil die meinten alles wäre so toll, was man macht, ohne wirklich zu begreifen, was man tat. Das beste an der Sache war, dass man die meisten Dinge schon im Projekt vorher schon getan hatte, wo es keinem bewusst wurde und die Schulterklopfer nur um die Ecke kamen, weil man dem Großen und Ganzen einen Namen gab: agiles Projektmanagement!
Neben den „Schulterklopfern“ gibt es für mich noch die „Kopfnicker“. Die Kopfnicker haben ebenso eine positve Grundhaltung zu einer Person und nehmen alles positiv von der Person auf und vertrauen blindlings auf dessen Meinung. Bei Projektmanagern ist dies ziemlich fatal, weil es meist kaum eine Kontrollinstanz für gutes Projektmanagement gibt, weil es schier zu wenige Personen gibt, welche Projektmanagement zu beurteilen wissen. Das heißt dann in der Praxis in etwa: „Ich weiß zwar nicht was du tust und warum du es tust, aber das Projekt läuft gut, du machst auf mich einen kompetenten Eindruck, also bist du ein guter Projektmanager“. An für sich wäre dies auch ok, wenn man es so frei und ehrlich äußern würde. Das wäre zumindest ehrliche Kritik, aber es wird statt dessen verschleiert, man gibt sich fachkundig und interessiert aus.
Ich finde das schrecklich!!! Umso mehr erfreue ich mich an Personen, die anders eingestellt sind. Die verstanden haben, dass es bei Kritik nicht darum geht RECHT zu haben oder gar eine Person besser oder schlechter darstellen zu können. Es geht darum, seinem gegenüber eine ehrliche und vor allem aus der eigenen Sicht der Dinge Feedback zu geben mit der Intention Dinge zu hinterfragen, welche einem sich nicht direkt erschließen.
Jeder weiß, dass wir uns selbst nur bis zu einem gewissen Grad selber reflektieren können. Dies hängt ja alleine schon mit der Perspektive des jeweiligen ab. Aus einer Perspektive kann eine Maßnahme ein Volltreffer sein, aus einer anderen eine Katastrophe. Wenn man nur eine Perspektive hat, hat man kein Gesamtbild und damit nicht die CHANCE einen guten Job zu machen.
Aktuell habe ich selbst durch den Weggang eines Kollegen sehr stark gespürt, was einem fehlt, wenn ehrliche Kritik kaum geäußert wird. Als erstes musste ich begreifen, dass diese Eigenschaft keine Normalität ist! Diese Eigenschaft Dinge neutral und sachlich zu betrachten und reine, ungenierte Kritik zu geben, ist leider sehr selten UND eine wahre Stärke wenn man es kann. Warum? Na ganz einfach: Es macht die anderen um einen herum besser (natürlich nur, wenn diese mit der Kritik umgehen können). Außerdem ist eine Person mit der Stärke ungemein wichtig um eine gute Rückkopplung und eine andere Sicht auf Themen zu bekommen. Nur dann kann man die Dinge ganzheitlicher betrachten und Entscheidungen treffen, welche gehaltvoller sind, als nur selbt reflektierte.
Ich finde es persönlich wahnsinnig gut zu wissen, dass es Personen gibt, zu denen ich gehen oder mit denen ich sprechen kann, welche mir dann eine glasklare und ehrliche Meinung geben. Ich kann bei diesen Personen darauf bauen, dass sie mir nicht nach dem Mund reden werden, dass sie tatsächlich aus ihrer Perspektive bewerten werden. Das ist ein ungemein gutes Gefühl!
Da ich mich schon immer für die „Agilität“ interessiert habe, bin ich nur immer wieder verwundert, dass dies nicht Normalität ist. Solche Personen sind selbst heute rar gesät, obwohl überall ehrliche und offene Kritik ohne Rücksicht auf Hirarchie propagiert wird.
Für mich daher (bis heute) bleibt dies eine wahre Stärke von Personen, welche auch genutzt werden sollte. Habt ihr also solche Personen für euch identifiziert, dann nutzt ihre Stärke für euch, denn diese Personen machen euch besser bzw. ermöglichen euch bessere Entscheidungen zu treffen. Natürlich könnt und sollt ihr dann mit euren Stärken den anderen beiseite stehen und nicht nur die Person ausnutzen, das versteht sich hoffentlich von selbst.
Greetz
Parloon